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Ein Friedhof als Lernort für die Schule?
Fortbildung des AK zeigt Friedhofskultur und Möglichkeiten zur Arbeit mit Schulklassen
Von Holger Viereck

Am Mittwoch, den 06.11.2013 fand die Fortbildung „Der Stuttgarter Hauptfriedhof (Steinhaldenfriedhof). Ein Friedhof als schulischer Lernort? Fachliche, didaktische und methodische Möglichkeiten eines Friedhofsbesuchs“ auf dem Stuttgarter Hauptfriedhof in Bad Cannstatt statt.

15 Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichsten Schularten kamen dabei zusammen, um mit Werner Koch eine Exkursion über Stuttgarts größten Friedhof durchzuführen. Koch, der zunächst sechs Jahre das Ludwigsburger Garten- und Friedhofsamt geleitet hat, übernahm danach für 25 Jahre die Leitung des Garten-, Forst- und Friedhofsamt in Stuttgart. Er führte die Gruppe mit viel Fachwissen und interessanten Geschichten.

Eingang zum Friedhof

Urnenanlage

„Friedhöfe sind nicht nur Orte von Trauer und Abschied, sie gehören mit ihren Gräbern, Steinen und Bepflanzungen zu unserer Kultur“, so der Experte. „Sie sind oft urbane Sehenswürdigkeiten und großzügige Parks mitten in der Stadt.“ Dabei beherbergen sie Denkmäler und Gedenkstätten und sind zudem kunstgeschichtlich von großer Bedeutung. Sie sind oft einzelnen Religionen zugeordnet oder, wie im Fall des Stuttgarter Hauptfriedhofs, gleich mehreren. Hier gibt es einen islamisches, einen jüdischen und mehrere christliche Abteilungen. Katholiken und evangelische Christen werden hier genauso beerdigt, wie Gläubige der armenischen Kirche. In den letzten Jahrzehnten sind es auch immer mehr Menschen, die ohne religiösen Beistand zu Grabe getragen werden.

Friedhöfe werden in der Regel aus Trauer und zum Abschied von geliebten und geachteten Menschen besucht. Sie werden aber auch wegen ihrer Ruhe, ihrer Grabmonumente und aus künstlerischem Interesse geschätzt. In Stuttgart sind es vor allem drei große Friedhöfe, die besucht werden. Der Prag-, Wald- und Hauptfriedhof sind von besonderem Interesse. Daneben sind aber auch die kleineren Friedhöfe, wie der Hoppenlau-, der Fangelbach Friedhof oder der Uff-Kirchhof  zu nennen. Sie alle sind in Werner Kochs Friedhofsführer der Landeshauptstadt, den er im vergangenen Jahr im Silberburg Verlag herausgebracht hat, ausführlich beschrieben.

Bei der Fortbildung des AK Landeskunde/Landesgeschichte unternahmen die Teilnehmer einen Rundgang durch nahezu alle Bereiche des Friedhofs. Dabei wurden auch die Interessen und Fragen der anwesenden Lehrer/innen mit einbezogen.

Für die Religions- und Ethiklehrer/innen waren die unterschiedlichen Beerdigungsformen von besonderer Bedeutung. Neben der klassischen Erdbestattung haben sich in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer Möglichkeiten ergeben. Pflegefreie Rasengräber, Urnenreihen- und Urnenwahlgräber sowie die besonders künstlerisch gestalteten, neu eingerichteten Gemeinschaftsanlagen waren deshalb ein Ziel des Rundgangs.

Auch spezielle Bereiche, die einzelne Gruppen für ihre Mitglieder erworben haben, wurden gezeigt. Zu solch einer Gruppe gehört die Stuttgarter Obdachlosenzeitung „trott war“. Deren Angehörige werden gemeinsam in einem Gräberfeld beerdigt.

Aber auch kritische Stimmen waren zu hören. „Der Tod wird in unserer Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen, er wird meist verdrängt. Die Menschen wollen sich nicht mit dem Lebensende beschäftigen, schon gar nicht mit ihrem eigenen. Dazu kommt, dass viele Familien weit voneinander entfernt leben. Grabpflege ist da fast unmöglich.“

Darauf müssen auch die Friedhofsverwaltungen reagieren. Ob aber der weit verbreitete Trend zur „Discount Beerdigung“ mit Krematorium im Ausland, eingesparter Trauerfeier und einem anonymen Gräberfeld die richtig Lösung darstellt, das muss jeder für sich und seine Angehörigen selbst entscheiden.

Die Gruppe würdigte im Durchgang immer wieder künstlerisch gestaltete Grabsteine. Statuen, Bilder, Sprüche, Blumenensembles und Grabsteinformen wurden bewundert. Sie ließen den Spaziergang auf dem Friedhof trotz Regen zu einem Genuss werden.  

Die anwesenden Geschichtslehrer/innen interessierten sich dagegen vor allem für die außergewöhnlichen Gedenkstätten des Friedhofs. Da ist besonders das große Gedenk- und Gräberfeld für die „Fliegeropfer“ des Zweiten Weltkriegs zu nennen. An der zurückhaltenden Ausstattung und den fußballfeldgroßen Ausmaßen kann man erkennen, dass die Sprachlosigkeit über die Wucht der Zerstörung noch weit in die Nachkriegszeit der neu gegründeten Bundesrepublik hinein reichte. Immerhin waren in den wenigen Kriegsjahren bei 53 Fliegerangriffen etwa 4500 Menschen zu Tode gekommen. Viele Leichen hatte man nie mehr gefunden. Die Menschen waren in ihren Kellern verbrannt oder auf der Straße verglüht. Über 60 Prozent der Stadt waren 1945 zerstört. In der Innenstadt, um den Bahnhof herum und im Westen lagen die zerstörten Anteile bei bis zu 90 %. Ein Drittel der 150 000 Stuttgarter Wohnungen waren zerstört, ein weiteres Drittel schwer beschädigt.

Zu Zeiten der Kapitulation lebten noch etwa 265 000 Menschen zwischen Ruinen und 5 Millionen Kubikmetern Schutt in der ihrer ehemals blühenden Stadt. Von den 15 vor dem Krieg intakten Neckarbrücken, waren bis auf zwei alle zerstört. Infrastruktur gab es zunächst nicht mehr. Als Franzosen und Amerikaner die Landeshauptstadt nacheinander erreichten, waren die meisten Stuttgarter Bürger/innen froh, dass der Krieg endlich vorbei war.

Das Gräberfeld für die Fliegeropfer, wie es auf dem Hauptfriedhof korrekt heißt, kann in Verbindung mit der Gedenkstätte auf dem Birkenkopf gesehen werden. Auch hier spürt man, dass das Nachkriegs-Stuttgart die Schrecken und die Brutalität des Krieges nicht einfach zu Seite schieben konnte. Nach solch einer Zerstörung kann es kein einfaches Zurück zur Tagesordnung mehr geben.

Aber auch die Gedenkstätte für die Opfer der sog. „Euthanasie“ im NS-Staat wurde besucht. Hier wird derer gedacht, die als erste systematisch erfasst und ermordet wurden – behinderte Menschen.

Während des NS-Regimes gab es eine geheime „Aktion“ mit Bezeichnung „T 4“, die von der Tiergartenstraße 4 in Berlin zentral gesteuert wurde. Ziel war es, alle Behinderten in Pflegeheimen zu erfassen und sie in einem zweiten Schritt systematisch zu ermorden.

Dieser Aktion sind im Württembergischen Grafeneck auf der Ostalb nachgewiesenermaßen über 10 000 Menschen zum Opfer gefallen. Insgesamt betrug die Zahl der Ermordeten europaweit über 300 000. Die Dunkelziffer, die vor allem behinderte Säuglinge betrifft, könnte sogar noch deutlich höher liegen.

Dass der Stuttgarter Hauptfriedhof für diese Menschen, die an zentrale Tötungseinrichtungen gebracht und mit Gas ermordet wurden, eine Gedenkstätte eingerichtet hat, ist außergewöhnlich und wichtig zugleich. Die Verbindung zwischen Grafeneck und Stuttgart liegt jedoch auf der Hand. Während in der ehemaligen Pflegeeinrichtung im Schloss Grafeneck gemordet wurde, sorgten Innenministerium und Gestapozentrale in der Dorotheenstraße für einen reibungslosen Ablauf der Erlasse aus Berlin. Getötet wurde in Stuttgart aber auch. In der sogenannten Stuttgarter „Kinderfachabteilung“, einer Kinderklinik in der Türlenstraße, wurden nachweislich über 50 Kinder und Säuglinge, die unter das Programm T 4 fielen, ums Leben gebracht. Sie wurden ihren Eltern zunächst weggenommen, um sie dann später mit Hilfe von überdosiertem Schlafmittel zu ermorden.

Eine letzte Gedenkstätte, die die Lehrer/innen-Gruppe besucht hat, ist für die Zwangsarbeiter eingerichtet worden, die während des Zweiten Weltkrieges in Stuttgart arbeiten mussten. Bei einem Bombenangriff kamen im Jahre 1943 über 400 von ihnen ums Leben.

Neben diesen Gedenkstätten trifft man auf Friedhöfen auch auf die Grabstätten interessanter Stuttgarter Persönlichkeiten. In Ehrengräbern auf dem Waldfriedhof sind z.B. Theodor Heuss und Arnulf Klett beigesetzt. Auch der jüngst verstorbene Alt-Oberbürgermeister Manfred Rommel erhält solch eine besondere Grabstätte auf dem Sillenbucher Friedhof.

Auf dem Hauptfriedhof besuchte die Lehrer/innen-Gruppe das Grab von Willy Bleicher. Der vielfach geehrte und hoch geschätzte Gewerkschaftsführer hatte zeitlebens in Luginsland gelebt. Seine Geschichte ist deshalb so spannend, weil er bis in die 30er Jahre hinein Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatte. Nachdem er von der Gestapo festgenommen und gefoltert worden war, wurde er ins KZ Buchenwald verschleppt. Dort war Bleicher in der Effektenkammer tätig und einer der führenden Köpfe des Häftlingswiderstands, der den Aufstand und die Selbstbefreiung des Lagers im Frühjahr 1945 organisierte.

Außerdem hat Bleicher entscheidend dazu beigetragen, dass ein 3-jähriges Kind im Lager Buchenwald versteckt und somit vor dem sicheren Tod gerettet werden konnte. Der kleine Junge von damals, Stefan Jerzy Zweig, ist heute 71 Jahre alt und lebt in Wien.

Die Exkursion des Arbeitskreises konnte zeigen, dass ein Friedhof sehr wohl ein wichtiger Lernort für verschiedene Fächer und Themen sein kann. Man kann auch einen kleineren Friedhof im eigenen Stadtbezirk aufsuchen. Man muss nicht den Hauptfriedhof der Landeshauptstadt besuchen, um in seiner Klasse Themen wie Tod, Gedenken, Abschied, Trauer, Grabkultur und Beerdigungsformen zu bearbeiten. Allerdings sind die Vielfalt und Größe dieses Friedhofs einzigartig in Stuttgart.

Alle, die sich noch weiter informieren oder das Buch von Werner Koch kaufen möchten, finden im Folgenden noch Links und Tipps zum Thema.

Internetseiten zum Thema Friedhöfe als Lernorte

  • Internetseiten zu Stuttgarter Friedhöfen

  • Friedhöfe in Stuttgart: http://www.stuttgart.de/friedhoefe
  • Bestattungsformen in Stuttgart

  • Unterrichtsmaterial

    Viereck, Holger: Die Auferstehung der Toten und das ewige Leben! Ein dreitägiges Projekt in einer 9. Realschulklasse; HS 9.3P, RS 9.3P, Gy 10.3P. In: Entwurf, (2001) 1/2, S. 38-49

    Literatur zu Stuttgarter Friedhöfen

    Koch, Werner und Christoph Koch: Stuttgarter Friedhofsführer. Ein Wegweiser zu Gräbern bekannter Persönlichkeiten, Tübingen 2012

    http://www.silberburg.de/index.php?1203-Stuttgarter-FriedhofsfA-hrer


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